Wer in der letzten Woche die Medien verfolgt hat, dem dürfte der Name George Floyd nicht unbekannt sein. George Floyd war ein Afroamerikaner, der am 25.05.2020 in Minneapolis (Minnesota, USA) im Rahmen einer Festnahme ums Leben kam. Er hatte mutmaßlich versucht mit einer gefälschten Banknote in einem Lebensmittelgeschäft zu bezahlen. Ein Mitarbeiter des Lebensmittelgeschäfts hatte daraufhin die Polizei gerufen. Die herbeieilende Polizei konnte Floyd in seinem in der Nähe parkenden Fahrzeug festnehmen – bis hierhin also ein ganz gewöhnlicher Vorgang. Das ganze nahm jedoch eine äußerst tragische Wendung. Durch noch nicht vollständig geklärte Umstände wurde die Verhaftung mit unverhältnismäßiger Härte durchgeführt. Videos zeigen, wie Floyd widerstandslos am Boden liegt und drei Polizisten auf ihm knien – einer von ihnen auf seinem Hals! In den im Internet kursierenden Videos ist zu hören, wie der am Boden liegende Floyd ruft: „I can’t breathe!“ (ich kann nicht atmen). Insgesamt kniete der Polizist (der inzwischen wegen Totschlags angeklagt wurde) mehr als 8 Minuten auf dem Hals des Verdächtigen. Dieser verlor das Bewusstsein und verstarb kurz darauf. Videos des Vorfalls verbreiteten sich in den sozialen Medien rasend schnell und wurden millionenfach angesehen. Als Folge dessen wurden insbesondere in den USA eine Reihe von Demonstrationen initiiert, die oft in großen Unruhen – teilweise mit Plünderungen – endeten. Während das Schicksal George Floyd’s für weltweite Betroffenheit sorgt, könnte es doch auch symbolisch für den Weg angesehen werden, den die USA aktuell beschreiten.
„Wetten Sie niemals gegen Amerika!“
Die Vereinigten Staaten von Amerika genießen weltweit ein hohes Ansehen. Die US-Bürger sind voller Stolz für ihre Nation und bezeichnen es oft als das großartigste Land der Welt. Auch aus einer weniger patriotisch verklärten Perspektive ist es durchaus angemessen, die USA als eine der weltweit führenden Nationen zu betrachten. Dies gilt insbesondere für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der USA. Nach wie vor sind die USA die größte Volkswirtschaft der Welt mit einem Bruttoinlandsprodukt von über 21 Billionen US-Dollar (2019). Dies spiegelt sich auch in der Entwicklung an den Kapitalmärkten wider. Der Dow Jones und der S&P 500 sind seit jeher ein zuverlässiger Indikator für den Zustand der Weltwirtschaft und haben im Laufe der Zeit überproportional stark an Wert dazu gewonnen. Obwohl es in der Vergangenheit immer wieder vermeintlich wirtschaftlich erstarkende Konkurrenz aus dem Ausland gab, waren US-Aktien letztendlich das Maß der Dinge. Auch der Altmeister Warren Buffet setzt größtenteils auf US-Aktien. Er ist überzeugt davon, dass Amerika jede Krise meistern könne, wie zuvor schon den 2. Weltkrieg, die Kubakrise, den 11. September oder die Finanzkrise von 2008. Seine Empfehlung (die fast schon als Drohung betrachtet werden könnte), lautet daher: „Wetten Sie niemals gegen Amerika!“
Die USA stehen aktuell vor großen Herausforderungen
Nun könnte man meinen, dass wir Anleger uns eigentlich ganz ruhig zurücklehnen könnten. Wir könnten argumentieren, dass Amerikanische Aktien schon immer gut performt haben und dass es auch in Zukunft so sein wird. Ist das aber tatsächlich so sicher, wie wir es als Anleger uns wünschen würden? Ich denke nicht. Der Fall George Floyd sollte uns vor Augen führen, dass die USA momentan nicht das Land sind, das sie einmal waren. Die USA – also das Land, das ganz offensiv eine führende Rolle in der Weltpolitik für sich beansprucht – wirkt tief gespalten. George Floyd war kein tragischer Einzelfall. Zuletzt kam es in den USA häufiger zu politischen Unruhen – und zwar nicht nur wegen vermeintlich zunehmender Polizeigewalt! Die Bilder von plündernden Menschenmassen widersprechen meiner Vorstellung von einer zuverlässigen und unantastbaren Wirtschaftsmacht. Aus Investorensicht könnte gar ein düsteres Bild gezeichnet werden. Neben der Politik des kontrovers diskutierten US-Präsidenten Donald Trump und dem damit einhergehenden sinkendenden internationalem Renommee der USA, gibt es auch weitaus objektivere Anhaltspunkte. Besonders große Sorge bereitet mir dabei, dass die Realproduktion in den USA schon längst nicht mehr international konkurrenzfähig ist. Die Einführung von Strafzöllen ist Beweis genug, dass heimische Produkte nicht mehr profitabel produziert und vermarktet werden können. Historisch gesehen ist dieses Geschäftsgebaren wohl am ehesten vergleichbar mit dem Merkantilismus absolutistisch regierender Herrscher im Europa des 17. Jahrhunderts. Auch die stetig zunehmende Staatsverschuldung der USA ist ein ernstzunehmendes Risiko. Schon mehrfach musste die selbst festgelegte Schuldengrenze nach oben korrigiert werden, um den Staatsbetrieb überhaupt weiter aufrecht erhalten zu können.
Sind die USA nun auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit?
Trotz aller gerade dargestellten Herausforderungen sollte aber nicht vergessen werden, dass die USA und US-Unternehmen über viele positive Eigenschaften verfügen. Im vergangenen Jahrhundert haben sich die USA insbesondere durch bahnbrechende Innovationen und starkes Unternehmertum ausgezeichnet. Symptomatisch dafür steht die aktuelle Forbes Liste. Unter den 10 reichsten Menschen der Welt, befinden sich 8 US-Amerikaner. Die meisten von ihnen haben sich ihr Vermögen eigenhändig (oder in 2. Generation im Fall der Familie Walton) durch geschickte Geschäftstätigkeit erwirtschaftet. Die USA sind also viel mehr, als ihr umstrittener Präsident oder eine übereifrige Staatsgewalt. In erster Linie sind die USA ein Standort, an dem Ideen reifen und im großen Stil skaliert werden können. Im Gegensatz zu anderen Ländern (z.B. Deutschland), herrscht in den USA eine weitaus geringere Risikoaversion. Es ist dort keine Schande zu scheitern. Aus diesem Grunde sind Unternehmer eher bereit etwas zu riskieren und werden dafür manchmal mit überdurchschnittlichem Erfolg belohnt. Zudem sind die USA nach wie vor ein sehr reiches Land, in dem viel Venture-Kapital für junge Unternehmen bereitgestellt wird. Starke und überzeugende Persönlichkeiten wie Steve Jobs, Bill Gates, Mark Zuckerberg oder Jeff Bezos konnten so riesige Imperien aufbauen, die weltweites Ansehen genießen. Auch an der Börse gehören diese Unternehmen zu den Lieblingen der Anleger und haben in der Vergangenheit große Renditen erwirtschaftet.
Fazit: Das US-Unternehmertum ist nach wie vor sehr stark, aber Vorsicht ist geboten
Es wäre zugegebenermaßen vermessen die USA kleinzureden. Dennoch ist Achtsamkeit ratsam. Die jüngsten Ausschreitungen nach dem tragischen Tod von George Floyd zeigen, dass die USA vor innenpolitischen Herausforderungen stehen. Gleiches gilt auf dem internationalem Parkett. Langjährige Partnerschaften und Abkommen werden zunehmend hinterfragt und verändert. Das internationale Ansehen der USA hat dadurch zweifelsohne gelitten. Nichtsdestotrotz ist langfristiger Erfolg an der Börse weniger von politischen Vorgaben abhängig, als von starken Unternehmen – und davon gibt es in den USA eine ganze Menge! Die aktuell größten und erfolgreichsten Unternehmen stammen aus den USA. Sie sind weltweit erfolgreich und schaffen es immer wieder innovative Produkte zu entwickeln, die unser Leben dramatisch verändern (z.B. iPhone, Google Suche, PC). Dennoch würde ich es nicht ganz so klar wie Warren Buffet formulieren. Die USA sind zwar noch immer eine Weltmacht und US-Unternehmen sind überaus erfolgreich, aber das allein ist noch kein Garant dafür, dass dies auch in Zukunft so sein wird. Marktteilnehmer wie China, die Europäische Union oder perspektivisch auch weitere sich im Aufschwung befindliche Regionen sind den USA auf den Fersen. Es wäre daher seitens der USA fahrlässig, einen wirtschaftlichen Weg einzuschlagen, der fast ausschließlich auf digitale Geschäftsmodelle und Finanzdienstleistungen beruht. Andernfalls könnten zukünftig andere Staaten den USA den Rang ablaufen. Für Anleger könnte es daher sinnvoll sein, sich nicht ausschließlich auf US-Aktien zu fokussieren, sondern auf eine angemessene Streuung im Portfolio zu achten.